Kaufhaus Gum am Roten Platz in Moskau, Foto: explizit.net

Die Krise hat Russland zurechtgerückt

Wirtschaftssanktionen sollen eigentlich als Strafmaßnahme dienen und denjenigen, gegen den sie gerichtet sind, zum Einlenken bringen. Im Falle Russlands haben sie bis jetzt wenig bewirkt. Vielmehr sind die Investitionen wie der Tourismus aus dem Ausland gestiegen.

Wirtschaftssanktionen sollen eigentlich als Strafmaßnahme dienen und denjenigen, gegen den sie gerichtet sind, zum Einlenken bringen. Im Falle Russlands haben sie bis jetzt wenig bewirkt. Vielmehr sind die Investitionen wie der Tourismus aus dem Ausland gestiegen.

Als die Sanktionen eingeführt wurden und gleichzeitig der Ölpreis fiel, war Russland um seine Haupteinnahmequelle gebracht. Es schien, dass selbst ein Wunder der russischen Wirtschaft nicht helfen würde. “Die russische Wirtschaft ist in Fetzen zerrissen” hatte Obama behauptet. Tatsächlich hatten die Spannungen mit dem Westen wegen des Ukrainekonflikts die Kapitalflucht aus Russland massiv befeuert. Allein im 1. Quartal 2014 wurden über 50 Mrd. Dollar aus dem Land geschafft. Der Rubel hatte am Ende des Jahres die Hälfte seines Wertes gegenüber dem Dollar und dem Euro verloren.

Die Stimmung war nicht nur bei den Unternehmern, sondern auch in der Gesamtbevölkerung miserabel. Niemand wusste, wie schwer die Krise werden und wie tief die russische Wirtschaft fallen würde. Man konnte sich an den schwarzen Humor der 90er Jahre erinnern: „Wir haben gedacht, dass die russische Wirtschaft den Boden berührt hat, aber sieh mal, sie fällt immer noch.“

Aus den früheren Krisen gelernt

Doch Regierung und Unternehmen haben aus den Krisenerfahrungen, in 1990ger Jahre und der Bankenkrise 2008 etwas gelernt. Statt knappe Devisenreserven für die Stützung des Rubels zu verschwenden, ließ die Zentralbank den Rubel fallen, auch wenn das politisch riskant war. Das hat aber die heimische Industrie gerettet und der Landwirtschaft in Verbindung mit den russischen Gegensanktionen sogar auf die Beine geholfen. Die Importe gingen massive zurück. Das führte dazu, dass Russland trotz niedriger Rohstoffpreise auch 2015 einen Handelsbilanzüberschuss von 148, 5 Mrd. Dollar erzielte. Der Leistungsbilanzüberschuss stieg sogar um 19,3%. Der Grund dafür war, dass russische Touristen im Ausland weniger ausgaben. Außerdem halbierten sich die Überweisungen ausländischer Arbeitskräfte aus Russland in ihre Heimatländer auf 5 Mrd. Dollar. Im Jahre 2015 stieg der Leistungsbilanzüberschuss in Relation zum Bruttoinlandsprodukt auf 5,2 Prozent des BIP – zweimal so viel wie im Jahre 2014.

Hohe Rohstoffpreise hatten der russischen Wirtschaft geschadet

Die hohen Preise für Öl und Gas hatten in den Jahren davor so viel Geld in die Staatskassen gespült, dass es mit vollen Händen auszugeben worden war. Sowohl die Industrie wie auch die Landwirtschaft wurden fast zerstört, weil zu viel importiert wurde.

Branchen wie der Tourismus lebten davon, dass die Russen in die ganze Welt reisten. Ausländische Touristen nach Russland zu bringen, schien eher wie ein Hobby als ein gewinnbringendes Geschäft. Wer wollte schon am Schwarzen Meer seinen Urlaub machen, wenn man für weniger Geld all-inclusive Zimmer in Fünfsterne-Hotels am Mittelmeer buchen konnte.

Was noch schlimmer war: Das Geld, das mit Ausverkauf der Rohstoffe verdient wurde, ruinierte nicht nur einheimische Industrie, sondern auch die Gesamtwirtschaft und vor allem die Motivation der Unternehmer. Die Regierung war nicht gezwungen, die nötigen Reformen durchzusetzen. Die Menschen hatten kaum Anreize zu arbeiten, weil das Geld wie vom Himmel fiel. Ausländische Firmen haben zwar im Land ihre Produktionsstätten gebaut, zogen es aber mehrheitlich vor, nach Russland zu exportieren, als dort zu produzieren.

Reformstau und Perspektivlosigkeit waren die Schlüsselwörter für den Zustand der russischen Wirtschaft im Jahr 2014. Trotz hoher Energiepreise wuchs sie nicht mehr.

Die Sanktionen bewirkten Investitionen

Dann kamen die Ukrainekrise, Wirtschaftssanktionen und Verfall der Rohstoffpreise. Zwar schrumpfte russische Wirtschaft zwei Jahre hintereinander um jeweils 3%. Den Menschen fehlte das Geld, um wie früher zu konsumieren. Es wurde dann aber bald klar, dass die Apokalypse ausblieb und Russland auch mit niedrigen Rohstoffpreisen leben kann. Oligarchen haben ihr mit den Rohstoffen verdientes Geld massiv in die Landwirtschaft investiert. Nicht nur um Tomaten und Gurken zu produzieren. Das Land, das in der Sowjetzeit Weizen importieren musste, ist in wenigen Jahren zum größten Getreideexportland der Welt aufgestiegen.

In den vergangenen Jahren schwankte der Wert der ausländischen Direktinvestitionen in Russland stark. Nachdem die Krim 2014 ein Teil der Russischen Föderation wurde, brachen die Direktinvestitionen in Russland von 69 auf 21 Milliarden Dollar ein. Die politische Krise sowie die Ungewissheiten hatten die Investoren abgeschreckt.

Seit 2016 steht aber Russland bei den ausländischen Inverstoren wieder hoch im Kurs. Im ersten Halbjahr 2016 investierten deutsche Unternehmen in Russland fast so viel wie im gesamten Jahr 2015 - 1,73 Mrd. Euro. Allein im zweiten Quartal 2016 investieren deutsche Firmen in Russland mit 665 Mill. Euro, dreimal so viel wie im Vorjahreszeitraum. Aber auch 2015 investierten deutsche Unternehmer schon in 36 Projekte.

Die russische Regierung unterstützt das Investitionsklima

Nicht nur schwache russische Währung lockt die Inverstoren. Die russische Regierung hat auch ihren Anteil daran, dass das Land wieder attraktiver wurde. Um ausländische Investoren anzulocken, hat die Regierung angefangen, sog. Sonderinvestitionsverträge zu schließen. Diese garantieren staatliche Unterstützung, Sicherheit und Steuererleichterungen. Es war ausgerechnet eine deutsche Firma, der Landmaschinenhersteller Claas, der noch vor dem japanischen Autobauer Toyota diesen Vertrag unterschrieb. Danach baute er ein Werk in der südlichen Kornkammer Russlands, in Krasnodarsky Kray. Insgesamt nahm die Produktion von Landwirtschaftsmaschinen 2016 um 36 Prozent zu. Außerdem hat Volkswagen 180 Mill. In die Produktionsanlagen für die zweite Generation des SUV Tiguan in Kaluga investiert. Henkel eröffnete vor kurzem eine Fabrik nicht weit von Moskau. Siemens und die Deutsche Bahn investieren bis zu 2,7 Milliarden Euro in die Infrastruktur. Das russische Ministerium für Wirtschaftsentwicklung hat ein neues Gesetz ausgearbeitet, das ausländischen Klein- und Mittelbetrieben Unterstützung verspricht, die in Russland investieren wollen. Das Engagement der deutschen Unternehmer ließ nicht auf sich warten. OBO Bettermann eröffnete eine neue Produktionsstatte für Elektroinstallationen in der Sonderwirtschaftszone von Lipezk. Der deutsche Werkzeughersteller Special Tools Technology (STT) unterzeichnete eine Investitionsvereinbarung in der Höhe 100 Millionen Euro mit der russischen Region Uljanovsk. Das deutsche Saatgut-Technologieunternehmen Petkus will im Süden Russlands über 35 Mill. Euro in eine Mais-Kalibrierungsanlage investieren. Die direkten Investitionen ausländischer Firmen in Russland waren 2016 zweimal so hoch wie im Jahr 2015.

Eine wichtige Voraussetzung dafür war das verbesserte Geschäftsklima in Russland. 2011 lag Russland noch auf Platz 120 des internationalen Geschäftsklima-Rankings “Doing Buisness”, im Jahre 2015 hat es Platz 51 belegt. 2016 ist das Land auf Platz 40 vorgerückt. Allerdings rangieren andere ehemalige Sowjetrepubliken weiter vorne, Estland auf Platz 12, Lettland auf Platz 14, Georgien bei 16, Litauen bei 21, Kasachstan bei Weißrussland 37, Ukraine auf Platz 80.

Der Tourismus nach Russland wächst beachtlich

Ein schwacher Rubel hat sich auf eine Branche besonders günstig ausgewirkt – auf den Tourismus. Früher war Russland für seine Touristen bekannt, die die ganze Welt bereisten und Geld mit vollen Händen ausgaben. 2015 war Schluss damit. Die Wirtschaftskrise hat für Russen Reisen ins Ausland unmöglich gemacht. Hinzu kamen noch die Verbote, nach Ägypten und in die Türkei zu reisen. Der Auslandstourismus brach um 31 Prozent ein. Dafür kamen wesentlich mehr Touristen nach Russland. Laut der Welt-Tourismusorganisation belegte Russland 2015 den 10. Platz der meistbesuchten Länder der Welt. Insgesamt kamen 3. 6 Mill. Touristen, ein Plus von 6, 2 Prozent gegenüber dem Vorjahr. 2016 wurde ein Zuwachs von 30 Prozent registriert. Die Buchungsrate von Hotels in Moskau und Petersburg lag bei 70 bis 90 Prozent.

Langfristige Folgen der Sanktionen

Aber natürlich sieht nicht alles rosig aus. Die Versuche, aus der Not eine Tugend zu machen, waren eine natürliche Reaktion auf das, was mit der russischen Wirtschaft seit 2014 geschehen ist. Die Erfolge, die nicht zu übersehen sind, beruhen auf der Anpassung an die verschlechterte Lage. Um nicht unterzugehen, wurde das Land von außen gezwungen, die seit langem angehäuften Probleme zu lösen. Zwar waren die Sanktionen bis jetzt nicht besonders erfolgreich, sie werden jedoch die langfristige Entwicklung Russlands behindern. Das kann auch nicht im Interesse der Länder sein, die die Sanktionen verhängt haben. Zur ihrer Beendigung ist der politische Wille beider Seiten notwendig, der bisher auf keiner der beiden Seiten zu erkennen ist.

Die Informationen stellte uns der russische Investor mit deutschen Wurzeln, Oskar Hartmann, zu Verfügung. Geboren in Kasachstan, eingebürgert in Deutschland, ist er jetzt als Geschäftsmann in Russland tätig. Er stellt fest, dass es jetzt für kleine und mittlere Unternehmer leichter als 2013 sei, ein neues Produkt auf den Markt zu bringen. In der aktuellen Krise sind in Russland vier Millionen Arbeitsplätze verloren gegangen, aber gleichzeitig sind drei Millionen neue entstanden. Es gibt Menschen, die anders denken: In Russland investieren tausende Menschen. Sie „unternehmen“ etwas, um Arbeitsplätze schaffen.



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