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Jihad als Reinigung von Schuld

Nach dem tödlichen Attentat auf einen Nachtklub in Istanbul ist Zentral Asien und dortige Islam wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit geraten. Zuerst hieß es, der Mörder komme aus Kirgisien, sei aber ethnisch Uigure. Danach hat die türkische Polizei erklärt er sei ein Usbeke. Aus welchem Land er auch kommt, die ganze Region verzeichnet einen Zuspruch zum radikalen Islam. Was ist der Grund dafür, dass sich so viele, besonders junge Leute sich in diesen ehemaligen Sowjetrepubliken radikalisieren?

Nach dem tödlichen Attentat auf einen Nachtklub in Istanbul ist Zentral Asien und dortige Islam wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit geraten. Zuerst hieß es, der Mörder komme aus Kirgisien, sei aber ethnisch Uigure. Danach hat die türkische Polizei erklärt er sei ein Usbeke. Aus welchem Land er auch kommt, die ganze Region verzeichnet einen Zuspruch zum radikalen Islam. Was ist der Grund dafür, dass sich so viele, besonders junge Leute sich in diesen ehemaligen Sowjetrepubliken radikalisieren?

Dieser Stein scheint uns ständig anzublicken. Es geht den Jihadisten um Erlösung.

Die Integration in der Sowjetzeit war doch nicht gelungen

Islamisten gibt es in Kirgisien, Usbekistan, Tadschikistan, im chinesischen Turkestan und sogar Kasachstan. Was in der Sowjetzeit und kurz danach noch als ein Beispiel für gelungene Integration des Islam in die säkulare Gesellschaft galt, scheint heute in Islamismus umzuschlagen. Soll man dafür eine Diktatur verantwortlich machen, staatlichen Druck auf die Gläubigen, die sie für radikale Prediger anfällig macht? Es könnte eine Erklärung sein. Aber sehr viele Anhänger des Islamischen Staates, die in Russland verhaftet werden, kommen aus Kirgisien. In diesem Land gibt es keine Diktatur, auch keinen Druck auf die Religion, damit auch nicht auf die Mehrheitsreligion, auf den Islam. Was lässt die Menschen sich dort so radikalisieren?

Die Volksgruppen mit langer muslimischer Tradition

Besonders interessant ist, dass die meisten Anhänger des radikalen Islams auch in Kirgisien, ethnische Usbeken, Tadschiken oder Uiguren sind, jeweils Regionen, wo der Islam sehr früh Fuß fasste und intensiv praktiziert wurde. Wenn es um Kirgisen geht, kommen die meistens aus dem Süden des Landes, wo Usbeken und Tadschiken leben und wo der Islam viele strenger praktiziert wird als bei den nomadischen Kirgisen. Letztere konvertierten erst vor wenigen Jahrhunderten zum Islam und haben bis heute noch den Schamanismus beibehalten. Nehmen die Gläubigen den Koran ernst, kommt sie nicht an den Texten vorbei, die zum bewaffneten Kampf gegen Ungläubigen aufrufen.

Wenn man Armut und Unterdrückung als Hauptgründe für Radikalisierung sieht, verkennt man die wahren Gründe dafür. Der Begründer des modern Islamismus und der geistiger Vater von al-Quaida und dem Islamischen Staat Said Kutb war ein Angestellter des ägyptischen Kultusministeriums. Dieser hat sich in den Vereinigten Staaten radikalisiert, wo er Erziehungswissenschaften studierte. Als er von der Nassers Regierung hingerichtet wurde, ging er mit einem Lächeln zum Galgen, sicher nicht deshalb, weil er den Sozialismus der damaligen Regierung teilte, und auch nicht, weil er keine Perspektive für sein berufliches Fortkommen sah.

Sicher lassen sich in Zentralasien viele aus mangelnder beruflicher Perspektive von Extremisten rekrutieren. Das ist aber nicht das einzige und auch nicht das entscheidende Motiv.

Es geht den Kämpfern um den Wahren Islam.

Der Fokus dieser Form des Islam‘ liegt darauf, den „Wahren Islam“ zu erkennen und zu leben. Diese Überzeugung vom „Wahren Islam“ und nicht so sehr Armut und Repression sind der ideale Nährboden für den Islamismus. Der Islamische Staat hat nach eigenen Angaben in den letzten drei Jahren 4.000 Kämpfer allein in Usbekistan rekrutiert. Die Mehrheit der IS-Kämpfer, die in Syrien und im Irak im Einsatz sind, stammen inzwischen aus Zentralasien und Russland, es sind der Zahl nach mehr als diejenigen, die aus Europa oder den arabischen Ländern kommen.

Jihad als Sühnehandlung

Im Aprils 2016 hat das vom IS betriebene AL-Hayat Media Center auf YouTube zwei Videos veröffentlicht. Ein etwa 60-Jähriger, der sich Abu Amin nennt, spricht davon, dass er zusammen mit seiner Frau und seinen Kindern deshalb nach Syrien kam, um so für seine Sünden zu büßen. Wenn er im Kampf gegen Ungläubige fällt, würden ihm entsprechend der Lehre des Koran und des Propheten alle seine Sünden vergeben. Das erklärt, warum viele Muslime, die davon ausgehen, vorher ein unislamisches Leben geführt zu haben, sich nach ihrer Bekehrung für Jihad entscheiden. Denn dieser garantiert ihnen, dass ihre Sünden vergeben werden. Abu Amin spricht auf Usbekisch, seine Rede wird aber von russischen Untertitel begleitet.

Auf einem anderen Video rufen zwei Jugendliche aus Kasachstan dazu auf, den Präsidenten von Kasachstan, Nursultan Nasarbajev, den sie “Ungläubigen” nennen, zu stürzen und die Kinder nach der Lehre des Wahren Islams zu erziehen.

Unterdrückung und Perspektivlosigkeit mögen dazu beitragen, dass immer mehr Menschen sich den islamistischen Bewegungen anzuschließen. Es wäre aber naiv zu denken, dass ein gläubiger Muslim, falls er überzeugt ist, dass der Kampf gegen Ungläubigen der von Allah vorgezeichnete Weg ist, der ihn ins Paradies führt, sich davon abhalten lässt, wenn man ihm ein Job bei McDonalds anbietet. Solange man nur auf soziale Situation der Jihadisten schaut, verkennt man den Springenden Punkt.

Vladimir Pashkov



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