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Wie Kirche in der Moderne von der Liebe sprechen sollte

(explizit.net) Buchrezension„Liebe in der Moderne. Körperlichkeit, Sexualität und Ehe“ von Isolde Karle

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Mit einem bemerkenswerten Fazit scheint der Apostel Paulus sein Hohes Lied der Liebe, dass er in seinem ersten Brief an die Gemeinde von Korinth richtet, zu schließen: „Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen“ (1. Kor 13,13). Paulus hebt die Liebe explizit hervor, da sie den Grundstein für die Gnadengabe Gottes legt, die wiederum Gott mit seiner Schöpfung verbindet.

(explizit.net) Buchrezension„Liebe in der Moderne. Körperlichkeit, Sexualität und Ehe“ von Isolde Karle

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Mit einem bemerkenswerten Fazit scheint der Apostel Paulus sein Hohes Lied der Liebe, dass er in seinem ersten Brief an die Gemeinde von Korinth richtet, zu schließen: „Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen“ (1. Kor 13,13). Paulus hebt die Liebe explizit hervor, da sie den Grundstein für die Gnadengabe Gottes legt, die wiederum Gott mit seiner Schöpfung verbindet.

Liebe ist etwas Verbindendes. Kein anderes Gefühl des Menschen wurde und wird so hoch geschätzt wie die Liebe. Sie ist der Grund dafür, dass Menschen zueinanderfinden, sich entschließen eine Familie zu gründen und sich aufopferungsvoll um ihr Gegenüber kümmern und sorgen. So sagen auch noch heute jährlich mehr als 350.000 Paare in Deutschland „Ja“ zueinander. Und doch wirken auf die Liebe gleichsam dieselben Kräfte, wie auf die gesamte moderne Gesellschaft und verändern sie. Die Größe der Liebe, von der Paulus in seinen Brief an die Korinther spricht, scheint mehr und mehr in der Moderne zu schrumpfen. Anstelle des „Wir“ zählt mehr denn je das „Ich“. Ebenso wird die Ehe mit Blick auf die Scheidungsraten nicht mehr als unwiderrufliches Versprechen angesehen.

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Körperlichkeit, Sexualität und Ehe haben sich in der modernen säkularisierten Gesellschaft verändert. Dieser Entwicklung hat sich die evangelische Theologin Isolde Karle zugewandt und mit ihrem aktuellen Buch „Liebe in der Moderne. Körperlichkeit, Sexualität und Ehe“ ein zentrales Thema kirchenpolitischer Kontroversen aufgegriffen.

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In drei in sich geschlossenen großen Kapiteln wirft die Autorin einen differenzierten Blick auf gegenwärtige Entwicklungen und auf ihre historische Wurzeln, ihre philosophische und theologische Rezeption und nicht zuletzt auf die Konsequenzen für kirchliches Handeln in der Gesellschaft.

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Körperlichkeit

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Die gegenwärtige Wahrnehmung des Körpers ist bestimmt von einer Perspektive, die die Körperlichkeit reduziert und nicht mehr als Ganzheit in den Blick nimmt. Der Körper wird so in unterschiedlichen Teilsystemen aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. In der Kunst wird er beispielsweise als ästhetisches Objekt gesehen, in der Medizin als kranker Körper und beim Sport als gestaltbare und leistungssteigerungsfähige Materie. Diese Zergliederung führt nicht selten zu einer gestörten Wahrnehmung des eigenen Körpers. Es entsteht zwischen Person und Körper eine Distanz, die zur körperlichen Nichtberücksichtigung führen kann. Selten bleibt dies ohne Konsequenzen. Psychosomatische Erkrankungen können hiervon die Folge sein. Neben der Verdrängung des eigenen Körpers bestimmt zugleich eine Körperaufwertung die Körperlichkeit in der Moderne, wie sie durch den Fitnesskult und populäre Ratgeberliteratur repräsentiert wird.

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Die Anthropologie der hebräischen Bibel folgt dieser Zergliederung nicht. Nicht einmal der bekannte Dualismus zwischen Seele und Leib ist den Autoren der alttestamentlichen Texte ein Begriff. Seele und Leib sind biblisch immer miteinander verschränkt. Körperlichkeit und Psyche werden als Ganzheit wahrgenommen.

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Erst mit der Integration der griechischen Philosophie in die theologischen Konzepte des Neuen Testamentes kommt es zu einer Anthropologie, die zwischen Leib und Seele zu unterscheiden sucht. Dabei kam es teilweise zu einer Abwertung der Leiblichkeit. So kritisiert Friedrich Nietzsche die neutestamentliche Sicht auf die Körperlichkeit: „[…] hier richtet sich der Blick grün und hämisch gegen das physiologische Gedeihen selbst, in Sonderheit gegen dessen Ausdruck, die Schönheit, die Freude; während am Missrathen, Verkümmern, am Schmerz, am Unfall, am Hässlichen, an der willkürlichen Einbusse, an der Entselbstung, Selbstgeisselung, Selbstopferung ein Wohlgefallen empfunden und gesucht wird.“

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Besonders scharf richtet sich Nietzsche mit seiner Kritik dabei gegen Paulus, den er als Prototyp des Priesters einer Sklavenmoral versteht. Doch das paulinische Verständnis von Körperlichkeit ist weit weniger leibfeindlich als Nietzsche meint. Vor allem in dem Brief an die Korinther entfaltet Paulus ein Menschenbild, in dem Seele und Leib verschiedene Aspekte des menschlichen Lebens darstellen und die Körperlichkeit des Menschen (sein soma) eine große Würdigung erfährt. Zu einer tiefgreifenden Wertschätzung von Leiblichkeit kam es in der Theologie der Moderne dann vor allem durch Dietrich Bonhoeffer, der die Freude am leiblichen Leben und die Selbstzwecklichkeit leiblicher Existenz unterstrich.

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Die Körperlichkeit des Menschen gilt es sowohl in ihrer Fragilität als auch ihrer Endlichkeit wahrzunehmen. Isolde Karle resümiert: „Das Christentum kann zur Humanität einer Gesellschaft beitragen, indem es diese geschöpfliche und verletzliche Seite des Menschseins betont, die Tyrannei des perfekten Körpers, die die Imperfekten besonders hart trifft, als neue Versklavung kritisiert und zugleich der Freude am leiblichen Leben Ausdruck gibt und zu dieser Freude ermutigt.“

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Sexualität und Ehe

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Sexualität hat sich in der Moderne aus dem Rahmen der Ehe herausgelöst. Voreheliche Sexualität ist heute eine Selbstverständlichkeit. Besonderes Augenmerk verdient dabei die Jugendsexualität. Aufgrund der gehäuften sexuellen Berührungspunkte, mit denen sich Jugendliche beispielsweise im Internet auseinandersetzen müssen, wird medial gerne von der sexuellen Verwahrlosung von Jugendlichen gesprochen. Dieser Alarmismus lässt sich jedoch empirisch nicht belegen. Das Alter für den Vollzug des ersten Geschlechtsverkehrs hat sich seit den 1970er Jahren kaum verändert. Überdies findet Sexualität bei Jugendlichen mehrheitlich im Rahmen fester Beziehungen statt. Jugendsexualität ist in Liebe, Partnerschaft und solide Moralstandards eingebunden. Die meisten Menschen, Jugendliche wie Erwachsene, praktizieren Sexualität in festen Beziehungen und vertreten monogame Wertmuster.

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Sexualität markiert ein Moment zwischenmenschlicher Berührung, das sich nicht von Gefühlen abkoppeln lässt. Sie gründet sich auf dem Vertrauen in den Partner. In ihr schwingt zu einem gewissen Maße die Sehnsucht nach einer ganzheitlichen Wahrnehmung des Selbst mit.

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Die Autorin fordert die Kirche dazu auf, ihr Verständnis von Sexualität zu überdenken. Sexualität ist eine Bereicherung der Beziehung von Liebenden, die nicht einzig auf den Zweck der Fortpflanzung reduziert werden darf. Vielmehr „gibt es eine selbstzweckliche Freude am leiblichen Leben, die zerstört wird, wenn sie mit bestimmten Zwecksetzungen gekoppelt wird.“

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Auch die Konzeption der Ehe scheint sich in der Moderne verändert zu haben. Scheidungsraten deuten darauf hin, dass gut ein

Drittel aller geschlossenen Ehen nicht das gesamte Leben fortdauern. Und doch hat die Ehe in der Moderne zugleich nicht bloß „überlebt“, sondern bleibt das angestrebte Ziel der Mehrzahl von Partnerschaften. Diejenigen Paare, die sich (noch) nicht für die Ehe als Lebensmodell entschieden haben, orientieren sich stark an ihrem Modell. Auch bei gleichgeschlechtlichen Paaren ist diese Tendenz zu beobachten. Die Autorin plädiert deshalb dafür, die Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen.

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Isolde Karle legt mit ihrem Buch eine ausführliche und facettenreiche Arbeit zu dem Thema Liebe in der Moderne vor. Ausgehend von der Luhmannschen Systemtheorie und der Genderforschung wirft die Autorin einen genauen Blick auf die Moderne und bringt ihre sozialwissenschaftliche Analyse mit theologischen und philosophischen Traditionen ins Gespräch. Letzten Endes greift das Buch „Liebe in der Moderne. Körperlichkeit, Sexualität und Ehe“ ein brisantes Thema in Theologie und Kirche auf, dass sehr klar und unaufgeregt breitaufgefächert und detailliert untersucht wird.

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<emphasize>Über das Buch:</emphasize>„Liebe in der Moderne. Körperlichkeit, Sexualität und Ehe“, Gütersloher Verlagshaus (August 2014).

Weitere Informationen auf den

<p>.</p> <p><emphasize>.</emphasize>

<p><emphasize>Niklas Peuckmann</emphasize>


Schlagworte: #Rezension

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